Lebe das, was du wirklich bist
Wir Menschen werden eine neue Welt erschaffen. Eine gute, eine menschliche Welt. Eine Welt, in der wir das sein können, was wir wirklich sind. Dieser Gedanke traf mich heute am frühen Morgen wie ein Blitz, als ich noch fröstelnd am Ufer des Chiemsees stand und dabei zusehen konnte, wie die Strahlen der aufgehenden Sonne den nebligen See in eine glitzernde, funkelnde, wärmende Märchenwelt verwandelten. Und plötzlich wurde mir klar: Alles ist gut. Alles muss gerade so sein, wie es ist. Unsere Welt ist polar. Hell und Dunkel, Tag und Nacht wechseln sich ab. Die Sonne ist immer da. Sie muss aber auch zwischendrin mal schlafen, damit sie am nächsten Morgen umso kraftvoller wieder scheinen kann.
In den letzten Monaten haben wir vermutlich alle ein Wechselbad der Gefühle durchlaufen. Sind die emotionale Achterbahn rauf und runtergefahren und haben gehofft, eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, dass wir nur geträumt haben und unser altes Leben wieder da ist.
Doch nein, es ist kein Traum und unser altes Leben wird auch nicht zurückkommen. Nie wieder. Was erst einmal dramatisch klingen mag, ist dennoch eine gute Nachricht: Möglicherweise werden wir das Alte gar nicht mehr haben wollen.
Dein innerer Kompass zeigt den Weg
Dass wir gerade ordentlich durchgerüttelt werden, ist sicher unangenehm, aber es muss so sein, wenn sich etwas Altes verabschiedet und etwas Neues kommen soll. Wir werden nun vom Leben unaufhaltsam aufgefordert, in uns hinein zu schauen und zu erkennen, wie wir wirklich leben wollen und was unsere wahren Werte sind. Denn im Gegensatz zu früher lässt es sich heute nicht mehr so einfach und komfortabel im alten Trott weitermachen, wenn wir unseren inneren Kompass missachten. Möglicherweise spürst du, dass dein Unbehagen mit jedem Tag größer wird. Vielleicht erkennst du auch, dass dein altes Leben nicht mehr zu dir passt: Das tägliche Hamsterrad, der Job, der gar nicht deinen wahren Talenten entspricht oder der nun vielleicht gar keinen Sinn mehr für dich macht?
Vielleicht navigierst du derzeit noch im Nebel und siehst deinen inneren Fixstern nicht. Das ist in Ordnung – die Seefahrer in früheren Zeiten hatten auch kein GPS und segelten trotzdem unverdrossen weiter. Denn sie wussten, dass ihr Fixstern auch bei Sturm und Nebel immer da sein würde.
Das Navigieren im Nebel verursacht viele negative Gefühle: Angst, Ohnmacht, Wut, Hilflosigkeit. Auch das ist in Ordnung. Akzeptieren wir diese Gefühle! Wir sind nicht auf der Welt, um als Mumie auf der Couch zu liegen, sondern um zu wachsen und uns zu entwickeln. Dazu gehört auch, alle Emotionen anzunehmen und zu transformieren. Die Ursache unserer Angst, unserer Wut und unserer Ohnmacht ist nicht irgendwo da „draußen“, sie ist in uns. Nur wenn wir alle unsere Gefühle annehmen und als zu uns gehörig betrachten, können sie gehen.
Loslassen befreit
Wenn wir den Mut haben, in den Fluss des Lebens zu springen und mit ihm zu fließen, wenn wir all das loslassen, was wir nicht wirklich brauchen, werden wir immer freier werden. An Altem festzuhalten, verursacht immer Schmerz. Eines Tages müssen wir auch unser Leben loslassen und können nichts mitnehmen. Wir sollten uns daher daran gewöhnen, dass nichts bleibt, wie es ist.
„Aber ich muss doch von etwas leben“, ist ein berechtigter Einwand. Das stimmt. Und du wirst auch gut leben können, wenn du dir klar darüber bist, wer du bist und was du möchtest. Du wirst es innerlich spüren, wenn die Zeit zum Loslassen gekommen ist. Es wird plötzlich leicht sein. Solange du noch an etwas hängst, fühlt es sich schwer an, bist du nicht frei. Doch wenn du losgelassen hast, hast du wieder eine leere Hand, die etwas nehmen kann. Neue Türen werden sich öffnen, an Orten, die du vorher nie wahrgenommen hast und wo du nie eine Tür vermutet hättest.
Wir müssen nur alle – nacheinander und jeder in seinem Tempo -losmarschieren und unserer Intuition folgen. Dann wird der Nebel sich lichten. Der Fixstern wird mit jedem Schritt sichtbarer, klarer und deutlicher.
So schaffst du, das zu leben, was du wirklich bist
Du spürst, dass du bereit bist, loszulaufen? Die wichtigsten Schritte habe ich hier noch einmal für dich zusammengefasst:
- Definiere deine Werte. Was ist dir wirklich wichtig im Leben? Betrachte nun dein Umfeld, insbesondere dein berufliches: Werden deine Werte dort respektiert? Kannst du ganz du selbst sein? Oder musst du Kompromisse machen, dich gar verbiegen, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen? Dann ist es Zeit für eine Veränderung.
- Entwerfe ein Bild der Gesellschaft, in der du leben möchtest. Wie gehen wir in Zukunft miteinander um, wie behandeln wir die Natur, in der und von der wir leben? Wenn deine Vision mit der Realität nicht übereinstimmt, hast du nun die Möglichkeit, aufzustehen und deine Vorstellung ins Leben zu bringen. Es genügt, wenn du klein anfängst – in deiner Familie, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft.
- Welche Aufgabe macht für dich wirklich Sinn? Warum bist du hier? Wie kannst du mit deinen Fähigkeiten dazu beitragen, die Welt ein kleines bisschen besser zu gestalten? Hier sind gar nicht die „großen“ Dinge gefragt. Du hast wunderbare Talente – nutze sie!
- Welche negativen Gefühle sind noch in dir? Wo verspürst du Wut, Angst, Traurigkeit, Ohnmacht? Kannst du anerkennen, dass andere Menschen nur die Aufgabe haben, dir deine eigenen negativen Gefühle zu spiegeln? Nichts und niemand „da draußen“ wird dich retten. Es ist alles in dir. Du alleine entscheidest, wer du bist.
- Mitgefühl ist ein wunderbares Gefühl, es befreit und ist der beste Booster für unser Immunsystem. Der Buddhismus spricht von innerer Freiheit: Unsere äußeren Umstände mögen noch so unfrei sein – wir haben dennoch stets die Freiheit, anderen gegenüber mitfühlend, freundlich und zugewandt zu sein.

Ja, auch ich bin diese Achterbahn rauf und runter gefahren, ich habe Wut und Angst und Ohnmacht gespürt. Ich kenne alle diese Gefühle. Doch wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir aus dem Drama, welches uns tagtäglich geboten wird, aussteigen und bei uns selbst anfangen. Medienabstinenz hilft ungemein. Denn unsere neue Welt wird auf dem Miteinander, auf Menschlichkeit, Liebe, Vertrauen und Mitgefühl basieren. Ich weiß zwar nicht, wie lange es dauern wird, aber ich bin mir sicher, dass sie kommen wird. Bist du dabei?




Dass es auch ganz anders geht, beweist ein kleines japanisches Dorf: Ōgimi, auch das Dorf der Hundertjährigen genannt. Es befindet sich auf der Insel Okinawa, ganz im Süden des japanischen Archipels. Die Menschen erreichen hier ein hohes Alter, viele werden sogar weit über hundert Jahre alt. Und dabei erfreuen sie sich größter Zufriedenheit und allerbester Gesundheit! Selbst Hundertjährige kann man hier beobachten, wie sie leichten Sport machen oder Gemüse auf dem Feld ernten. Sie sind glücklich und zufrieden, was sich extrem positiv auf ihr Immunsystem auswirkt. Wenn sie sterben, schlafen sie meist friedlich ein. Altersbedingte Krankheiten, Alters- und Pflegeheime? In Ōgimi Fehlanzeige!
In Ōgimi kann diesen guten Grund beinahe mit den Händen greifen. Die Menschen gehen lächelnd und mit heiterer Gelassenheit durchs Leben. Obwohl sie stets auf Achse sind, scheinen sie keinen Stress zu kennen. Viele haben eigene Gemüsefelder und bleiben dadurch bis ins hohe Alter eigenständig. Sie gehen auch nicht in Rente, warum sollten sie auch? In der alten Sprache der Insel kennt man dieses Wort gar nicht. Unabhängig vom Alter wird jeder gebraucht und jeder hat eine Aufgabe, die er liebt und mit großer Gewissenhaftigkeit ausführt: Korbflechten, malen, schreiben oder sich um die Enkel und Urenkel kümmern. Alte Menschen werden geschätzt und geachtet, sie stellen für die Angehörigen keine Problemfälle dar, sondern leisten einen wertvollen Beitrag für die Gemeinschaft. Die Dorfgemeinschaft hat einen hohen Stellenwert: Man hilft sich gegenseitig, wo man kann. Aufgaben, die das Dorf betreffen, werden gemeinsam übernommen. Gemeinsam wird auch gefeiert, getanzt, Sport gemacht und gesungen. Es scheint, dass die Lebensenergie, die in unseren Breiten gerade einmal 70 Jahre ausreicht, hier nach 100 Jahren noch nicht erschöpft ist. Warum sollte auch jemand krank werden oder sterben, der einen guten Grund hat, auf der Welt zu sein?
Das Gefühl, wieder jung, eigenständig und aktiv zu sein, hatte die Menschen tatsächlich verjüngt. Möglicherweise hat auch die Bedeutung und der Sinn, an einem wissenschaftlichen Experiment mitzuwirken, dazu beigetragen.
Zu einem ähnlichen Resultat kommt auch eine Langzeitstudie aus Japan. In der im Jahr 2008 veröffentlichten Ohsaki-Studie wurden über 40.000 Menschen zwischen 40 und 79 Jahren befragt, ob sie der Ansicht sind, ein sinnvolles Leben zu führen. Eine deutliche Mehrheit der befragten Japaner antwortete mit Ja. Nachdem die gesundheitlichen und biographischen Daten über einen 7-Jahres-Zeitraum ausgewertet wurden, zeigte sich, dass es den Ja-Sagern deutlich besser ging. Sie lebten häufiger in einer Beziehung und waren seltener arbeitslos. Zudem gaben sie an, weniger Stress zu haben und gesünder zu sein. Auch ihre Lebenserwartung war höher. Sie starben seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder durch externe Faktoren.
Jeder, der sich die Frage nach dem Sinn des Lebens einmal gestellt hat, weiß auch, dass sie nicht wieder verschwindet. Sie wird uns wieder und wieder antriggern. Es gibt auch kein Medikament oder keine Impfung dagegen. Sie kommt so lange, bis wir eine Antwort darauf gefunden haben.
Wir haben nun die Chance, unser Leben, unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft neu zu denken und zu gestalten. Viele Menschen möchten wieder in ihr altes Leben zurückkehren, aber es wird dennoch ein anderes sein. Einige werden etwas Neues ausprobieren und feststellen, wieviel leichter das Leben sein kann, wenn sie nur ihrem Herzen folgen und einfach das tun, was ihnen wirklich wichtig ist.

Nicht nur das Coronavirus, auch die Digitalisierung fordert uns dazu auf, uns über unsere Werte Klarheit zu verschaffen. Arbeitsplätze werden wegfallen, neue entstehen. Vielleicht werden wir in Zukunft weniger arbeiten. Vielleicht wird es ein bedingungsloses Grundeinkommen geben. Doch wenn die Arbeit uns nicht mehr braucht, wozu brauchen wir dann die Arbeit? Um unsere Freizeit zu finanzieren, oder um das zu tun, was wir wirklich tun wollen?